«Sehr geehrte Damen und Herren. Wir unterbrechen unser Musikprogramm für eine aktuelle Nachrichtendurchsage: Um 19.40 Uhr registrierte das Mount-Jennings-Observatorium in Chicago mehrere Gasexplosionen auf dem Mars. Spektrometrische Messungen haben ergeben, dass es sich dabei um Wasserstoff handelt, der mit immenser Geschwindigkeit auf die Erde zurast. Nun zurück zur Musik…»
So tönte es am 30. Oktober 1938 aus dem amerikanischen Radioprogramm CBS. Was nichts weiter war als ein realistisch aufgemachtes, mit Wetterbericht, Tanzmusik und Interviews versetztes Hörspiel, nahmen manche Hörer für bare Münze. Manche hatten erst später eingeschaltet, als die Marsianer im Hörspiel bereits die Erdbewohner angriffen. Beunruhigte Anrufe gingen beim Radiosender ein. Medien in aller Welt berichteten (übertrieben) von einer Massenpanik – ausgelöst vom Radio. Kaum vorstellbar, dass das heute und hier noch einmal passieren könnte.
«Krieg der Welten», ein Hörspiel von Orson Welles nach der Romanvorlage von H.G. Wells, wurde in der frühen Medienwirkungsforschung oft als Beispiel für den grossen Einfluss und die Macht der Medien angeführt. Heute gilt die Allmachtstheorie längst als überholt. Zumal die Furcht vor einem Einfall fremder Mächte, kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs, bei der US-Bevölkerung tief verwurzelt war. Der Hörfunk war in jener Zeit das eigentliche Leitmedium und fesselte das Publikum mit packenden O-Tönen, spannenden Hörspielen und dramatisch gelesenen Nachrichten. Das Radio war alles: nobelpreiswürdige Erfindung, Schule, Zankapfel, Propagandakanal, Werbemekka, Pirateninsel, Musikberiesler.
Anlässlich des DAB-Plus-Switches am 17. Oktober (mehr dazu später) werfen wir einen kleinen Blick auf die Geschichte des Mediums:
Ein bisschen Radiogeschichte
Einige Ereignisse aus der bewegten Geschichte des Hörfunks, subjektiv zusammengestellt:
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Die Anfänge
[spoiler title=“Die Anfänge“]1873 bewies ein schottischer Physiker die Existenz von elektromagnetischen Wellen. Wenig später wurden das Grammofon und Telefon erfunden. 1894 gelang das erste Mal eine drahtlose Funkübertragung über eine Distanz von neun Metern. Nur vier Jahre später wurde das erste Funktelegramm gegen Bezahlung aufgegeben. 1904 gelang es zum ersten Mal, drahtlos Musik zu übertragen. 1906 tagte die erste Welt-Funkkonferenz und noch im selben Jahr wurde die erste Radiosendung ausgestrahlt. 1911 erhielt die «Ecole d’horlogerie à La Chaux-de-Fonds» die erste provisorische Empfangskonzession der Schweiz, um Zeitsignale des Eiffelturms zu empfangen. 1923 bewilligten die Bundesbehörden die ersten Versuche für Lokalradios. Zu Beginn der Dreissigerjahre schlossen sich regionale Radioorganisationen zur Schweizerischen Rundspruchgesellschaft zusammen – der SRG.[/spoiler]
Die Blütezeit des Radios
[spoiler title=“Die Blütezeit des Radios“]Nach dem Modell der britischen BBC hatte die SRG einen Bildungs- und Kulturauftrag, den «Service Public». Die sprachregionalen Landessender boten kurze Infos, Unterhaltung und förderten Kultur- und weiterbildende Programme. 1950 gab es bereits eine Million Konzessionen für Radioempfänger. Auch ausländische Sender erfreuten sich wachsender Beliebtheit. Rock und Popmusik hatte lange wenig Platz bei den SRG-Sendern und wurde vor allem von Radio Luxemburg – übrigens die Keimzelle der RTL-Gruppe, dem mit 45 TV- und 32-Radiosendern grössten Privatrundfunkbetreiber Europas – oder dem Südwestfunk verbreitet.[/spoiler]
Der zweite Weltkrieg
[spoiler title=“Der zweite Weltkrieg“]Die Nationalsozialisten verwendeten intensiv das Leitmedium Radio, um ihre Propaganda zu verbreiten. Ein «Volksempfänger» wurde entwickelt und zu einem günstigen Preis verkauft. Mit Absicht: Die Parolen sollten schliesslich jeden Einwohner des Dritten Reichs erreichen. In weiten Teilen Europas war der Mittelwellensender, der vom luzernischen Beromünster aus ausstrahlte, empfangbar. Dieser entwickelte sich während des Kriegs zu einer wichtigen unabhängigen Informationsquelle. In der Schweiz wurden die SRG-Sender direkt dem Staat unterstellt und zur Information der Bevölkerung eingesetzt.[/spoiler]
Das Radio im TV-Zeitalter
[spoiler title=“Das Radio im TV-Zeitalter“]Mit dem Aufkommen des Fernsehens in den Sechzigerjahren verlor der Rundfunk seinen Status als Leitmedium. Radio wurde trotzdem nicht obsolet – schliesslich hören wir heutzutage immer noch Radio – doch verlor es zunehmend seine Funktion als primäre Informationsquelle für die öffentliche Meinungsbildung. Damit einher ging eine Veränderung der Hörgewohnheiten: Radiohören tat man immer mehr nebenher, während man anderen Tätigkeiten nachging. Passend zum damaligen traditionellen Familienbild und Lebensentwurf stellten die Sender ihr Tagesprogramm zunehmend auf ihr neues Hauptpublikumssegment um: Hausfrauen, die vor- und nachmittags während der Arbeit im Haushalt beschallt werden wollten. Kaufkräftige Hausfrauen. In der Werbung wurde der Radioempfänger zum stylischen Einrichtungsgegenstand. An den häuslichen Zusammenhang erinnern auch die sogenannten Seifenopern («soap operas» oder kurz «Soaps»). Die nämlich stammen aus jener Zeit: Die Soaps boten den Radiomachern ein werbefreundliches Umfeld, das vor allem Hersteller von Haushaltsprodukten – eben auch Waschmittel- und Seifenhersteller – gerne zur Platzierung ihrer Werbebotschaften nutzten. Dank tragbarer Transistorradios und Autoradios konnten die Hörer auch beim Sport, am Strand oder auf Reisen Rundfunk empfangen.[/spoiler]
Kommerzialisierung und duales System
[spoiler title=“Kommerzialisierung und duales System“]Ende der Siebzigerjahre strahlten private Piratensender wie Radio 24 aus dem Ausland in die Schweiz und peilten damit das von den SRG vernachlässigte Jugendpublikum an. 1983 erteilte der Bundesrat die Bewilligung für werbefinanzierte Lokalradios. Die SRG durfte ein drittes Programm ausstrahlen. Erst 1992 trat ein neu geschaffenes Radio- und Fernsehgesetz in Kraft. Ab 1981 sendete DRS erstmalig 24 Stunden pro Tag. Die Liberalisierung des Radiomarkts führte zu wieder zunehmender Nutzungsdauer. Die Publikumsorientierung führte zu oft ähnlichen Programmrastern bei den Privatradios mit viel Musik und Kürzest-Nachrichtenbulletins.[/spoiler]
Die Digitalisierung
[spoiler title=“Die Digitalisierung“]Seit der Jahrtausendwende nutzen Radioveranstalter vermehrt das Internet als Zusatzkanal und fürs Streaming ihrer Programme. Durch immer bessere Internetnutzungsangebote, Flatrates und höhere Bandbreiten erlebt Internetradio einen Aufschwung: Morgens zum Kaffee dominikanischen Bachata und abends libanesische Volksmusik zu hören geht heute problemlos und sogar übers Smartphone. Aber auch die terrestrische Übertragung beginnt, digital zu werden. Mit Digital Audio Broadcasting entwickelt die Europäische Union anfangs der Neunzigerjahre einen neuen Standard für Radioübertragung. 1999 werden in der Schweiz die ersten DAB-Sender in Betrieb genommen, seit Ende 2009 ist DAB in der ganzen Schweiz zu empfangen. Die SRG strahlt je nach Empfangsregion neun bis elf Sender aus, 2007 kommen private Programme dazu. Seit 2009 betreibt die Swiss Media Cast AG, die von der SRG zusammen mit Privatradios getragen wird, ein eigenes DAB+-Netz, über das diverse Sender ausgestrahlt werden. Digitalradio via DAB+ umfasst gegenüber Kurz-, Mittel- und Ultrakurzwelle (UKW) Vorteile wie kristallklaren Klang ohne Störungen und Überlagerungen, grosse Sendervielfalt, einfache Bedienung und Zusatzinfos in Text und Bild. Die Sender müssen darüber hinaus nur einen Bruchteil der Kosten aufwenden, die bei der Verbreitung via UKW fällig würden.[/spoiler][/spoilergroup]
Die Zukunft beginnt jetzt
Jüngst wurde in der Schweiz das millionste Digitalradio-Gerät verkauft. Ab 17. Oktober 2012 werden diverse DAB-Programme in der Schweiz nur noch via DAB+ senden. DAB ist noch bis 2015 in Betrieb. Ähnlich wie beim Fernsehen ist auch beim Radio eine Abschaltung der alten analogen Dienste absehbar. Wann der Zeitpunkt ist, an dem man über UKW nur noch Rauschen empfängt, lässt sich noch nicht sagen.
Aktuelle DAB+-Landingpage im Brack.ch-Onlineshop
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Links/Quellen
- Geschichte von Radio DRS
- 75 Jahre Radio in Deutschland
- Internationale Rundfunk- und Fernseh-Chronik
- «Radio» im Historischen Lexikon der Schweiz. Artikel von Edzard Schade
- Mittelwellensender Beromünster
- Hampf, Michaela/Lehmkuhl, Ursula: Radio Welten: Politische, soziale und kulturelle Aspekte atlantischer Mediengeschichte vor und während des Zweiten Weltkriegs. Münster:2006. In Google Books (letzter Besuch 30.08.2012)
- «The War of the Worlds». Original-Hörspiel, 60 min Audio, englisch
- Auswirkungen von «Krieg der Welten» in Quito, 1949
- Digitalradio.ch: Alle Infos rund um DAB+ in der Schweiz
- MCDT: Medienmitteilung zum millionsten Digitalradio in der Schweiz
- Facebook-Gewinnspiel (bis 9.9.12)
Eine Schlussanekdote zu «Krieg der Welten»
Elf Jahre nach der Ausstrahlung in den USA ging eine spanische Fassung in Quito, Ecuador, über den Äther, unterstützt von fingierten UFO-Berichten in Lokalzeitungen – rund um Quito verliessen Einwohner ihre Behausungen im Pyjama und rannten verzweifelt durch die Strassen. Ein Priester erteilte eine Massen-Absolution. Die Ambulanz wurde aufgeboten und zum vermeintlichen Marsianer-Schlachtfeld geschickt. Als der Radiosender die Bevölkerung aufrief Ruhe zu bewahren, da es sich um ein fiktionales Programm handle, versetzte die Meldung das Volk in Rage. Ein wütender Mob steckte die Büros besagter Zeitung, die sich im selben Gebäude wie der Radiosender befanden, in Brand. Hydranten wurden aus der Verankerung gerissen, um das Löschen der Flammen zu verunmöglichen. Die Armee rückte mit Panzern und Tränengas an. Menschen kamen um.
Lektorat für diesen Beitrag: Yves, Team Content